Es hat mir die vergangenen Tage keine Ruhe gelassen, einen kurzen erläuternden Nachtrag zur Bemerkung „Klare Worte – nötiger denn je!“ (siehe unten vom 27.6.2014) zu schreiben. Die Nutzer unserer Internetseite sollen die ganze Dramatik erfassen, die in der Aussage von Landesbischof Ralf Meister steckt, daß die Bibel „ein ganz normales Stück Literatur“ sei. Und damit verstehen, warum eine Zurückweisung dieser Aussage in aller Schärfe geschehen muß.
Dazu müssen wir als Erstes einen kleinen Ausflug in die Grundlagen der reformatorischen Kirchen machen. Sie sind gegründet auf ein doppeltes Fundament. Grundlegender Maßstab ist die Bibel als norma normans, zu Deutsch: „normierende Norm“ oder auch „maßgebender Maßstab“. Von der Heiligen Schrift abgeleitet gelten als zweiter Maßstab die Bekenntnisschriften der Reformation, zum Beispiel das Augsburgische Bekenntnis, als norma normata, zu Deutsch „normierte Norm“. Die reformatorischen Kirchen sind der Überzeugung, und das ist auch verbindliche Grundlage ihrer Lehre, daß die Reformatoren vom Heiligen Geist geleitet, in diesen Schriften die wesentlichen Inhalte des christlichen Glaubens zuverlässig ausgeführt haben. Als solche sind sie nach und mit der Bibel Norm für den Glauben und das Leben der reformatorischen Kirchen. Alle Amtsträger, vom Kirchengemeinderat bzw. Presbyter über die Pfarrer und Dekane bis zu den Prälaten und Bischöfen, werden auf diese Normen, die Heilige Schrift und die Bekenntnisse der Reformation, verpflichtet. Dabei sind die Bekenntnisse der Reformation als normierte Norm der Bibel als normierender Norm nachgeordnet. Sie haben ihre Zuverlässigkeit nicht in sich, sondern empfangen sie aus ihrer Übereinstimmung mit der Bibel. Die Bekenntnisschriften sind deshalb nicht unhinterfragbar. Sollten sich Zweifel an ihrer Übereinstimmung mit der Bibel ergeben, sind sie an der Bibel zu überprüfen. Sollte sich eine Nichtübereinstimmung ergeben, wären die Bekenntnisschriften an diesem Punkt ungültig, da die Bibel die grundlegende, normgebende Norm ist.
Was sich hier in lateinischer Sprache und holprig erscheinender deutscher Erläuterung für manchen schwierig anhören mag, läßt sich an einem Beispiel aus dem Alltag leicht veranschaulichen:
Die meisten von uns besitzen einen Meterstab. Der Meterstab ist eine norma normata = normierte Norm. Er ist nicht normgebend. Er hat seine Norm empfangen durch die Übereinstimmung mit dem sogenannten „Urmeter“. Das Urmeter wurde mehrfach von wissenschaftlichen Kommissionen exakt errechnet. Modelle dieses Urmeters werden an den Eichinstituten verschiedener Länder aufbewahrt. Das Urmeter gibt verbindlich die exakte Länge eines Meters vor. Dieses Urmeter ist die norma normans – die normgebende Norm. Im Alltag verlassen wir uns aber ganz selbstverständlich darauf, daß unser Meterstab genau ist, daß er in seiner Länge mit dem Urmeter übereinstimmt. Das heißt vor allem, daß auch der Meterstab des Zimmermanns, des Maurers und des Schreiners, die wir gegebenenfalls für Arbeiten an unserem Haus beauftragen, dieselbe Länge besitzen. Stellen wir uns nun vor, die Obrigkeit beschließt: jeder Handwerker kann sein Metermaß selbst bestimmen. Beim Einen beträgt nun ein Meter 105cm, beim Nächsten 143cm und beim Dritten 67 cm, nach oben und unten sind dabei keine Grenzen gesetzt. Das Urmeter als maßgebender Maßstab ist abgeschafft. Jeder definiert seinen Meter selbst. Das Chaos wäre perfekt. Nichts in unserem Leben, das mit Längenmaßen zu tun hat, würde noch zusammenpassen. Das Bett wäre möglicherweise zu klein, um darin liegen zu können, oder zu groß, um ins Schlafzimmer zu passen. Die Garage zu klein fürs Auto oder größer als das Wohnhaus, weil sie von einem anderen Handwerker mit einem anderen Metermaß gebaut wurde und so weiter und so fort. Unser Alltag würde im Chaos versinken.
Mit seiner Aussage, daß die Bibel „ein ganz normales Stück Literatur“ sei, schafft Landesbischof Meister das geistliche „Urmeter“ ab. Es gibt ab sofort keinen verbindlichen Maßstab mehr, was christlicher Glaube ist. Jeder macht sich seinen Glauben selbst und behauptet, das sei Christentum. Das geistliche Chaos ist perfekt und sogenannte christliche Kirchen gehen notwendigerweise in diesem Chaos unter. Vielleicht nicht organisatorisch – geistlich aber auf jeden Fall. Wem nun in diesen sogenannten „Kirchen“ die Ehre gegeben wird, das kann auf dieser Grundlage bestensfalls noch zufälligerweise der lebendige Gott sein. In der Regel sind es selbsterdachte und selbstgebastelte Götzen. „Kirchen“, und leider längst auch „Freikirchen“, die auf dieser zerstörten Grundlage leben, leben im fortlaufenden Verstoß gegen das erste Gebot: „Du sollst keine anderen Götter neben mir haben.“
Um diesem Chaos zu wehren, haben die Reformatoren betont: „Allein die Heilige Schrift“. Nur die Bibel kann norma normans = verbindlicher Maßstab sein. Aber den hat Meister gerade abgeschafft.
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Habe gerade eine interessante Ausarbeitung bei http://hauszellengemeinde.de/300-wichtige-veraenderungen-im-text-des-nt/ entdeckt…
…welche ganz gut zum obigen Beispiel der unterschiedlich langen Meterstäbe passt. Zu beachten ist, dass die Ausarbeitung vom April 2005 ist, weshalb z. B. die am 5. Dez. 2005 das erste Mal ausgegebene Volxbibel (1) oder die zur Frankfurter Buchmesse 2006 offiziell erschienene Bibel in gerechter Sprache (2) nicht enthalten sind.
(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Volxbibel
(2) https://de.wikipedia.org/wiki/Bibel_in_gerechter_Sprache
(1)+(2) http://www.efk-riedlingen.de/downloads/006_Hoffnung_f%C3%BCr_alle_-_Volxbibel_-_Bibel_in_gerechter_Sprache.pdf